Wir sind schockiert und betroffen über den Mord an vier Bewohner*innen und der schweren Körperverletzung an einer weiteren Person in der diakonischen Wohneinrichtung „Oberlinhaus“/ "Thusnelda-von-Saldern-Hauses" in Potsdam. Unsere Gedanken sind bei den Hinterbliebenen innerhalb und außerhalb der Einrichtung, denen wir unser tiefstes Mitgefühl aussprechen. Ebenso wünschen wir der schwer verletzten Bewohner*in gute Besserung.
Marie Polonyi, Referentin für Inklusion des StuRas der Uni Leipzig (UL) erklärt: „Diese Tat darf keinesfalls als Einzelfall abgetan werden. Vielmehr steht sie in einer Reihe von vielen weiteren Tötungen, die sowohl innerhalb von sog. Einrichtungen für behinderte Menschen als auch in Familien verübt wurden und weiterhin zu befürchten sind. Sie sind Ausdruck einer menschenverachtenden, ableistischen Ideologie, die Behinderung als individuelles, leidvolles Schicksal und gesellschaftliche Last ansieht, die es zwingend zu verhindern oder zu kurieren gilt.“
Jene Minderwertigkeitsvorstellung mündet schließlich in eugenischen Aufassungen von guten und schlechtem Leben, die nicht nur bei den Nationalsozialist*innen zu finden waren, sondern bis heute andauern.
„Dieser Ableismus lässt sich auch in den der Berichterstattung und sozialen Medien wiederfinden, wenn beispielsweise ein Polizeipsychologe von vermeintlicher "Erlösung vom Leid" als Tatmotiv spricht, die Bemühungen der Mitarbeiter*innen und der Einrichtung betont oder die Tat zügig als Überforderung der Täterin erklärt werden“, stellte Madeleine Littwin, ebenfalls Referentin für Inklusion des StuRas der Uni Leipzig, fest.
Der Blick auf die Opfer, ihrer täglichen Lebensumstände innerhalb solcher Institutionen und die erhöhte Gefahr behinderter Menschen Opfer von Gewalt und Missbrauch zu werden, verliert sich in der Analyse. Bereits seit Jahrzehnten stehen solche Einrichtungen innerhalb der Behindertenbewegung und der disability studies in der Kritik. Nicht zuletzt positionierte sich das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) im Dezember 2020 nicht nur lautstark gegen die Triage-Richtlinien im Zuge der COVID-19 Pandemie, sondern auch gegen Heime, Pflegeeinrichtungen und Wohneinrichtungen als Orte der Isolation und Abhängigkeit von internen Regelungen, Kontrolle und verfügbaren Dienstleistungen. Die Bewohner*innen leben oft seit frühster Kindheit unter diesen Bedingungen und sind gerade in Zeiten einer weltweiten Pandemie einem erhöhten Infektions- und Sterberisiko ausgesetzt.
„Auch als studentische Interessenvertretung sehen wir uns in der Pflicht, klar Position zu beziehen. Denn gerade im wissenschaftlichen Diskurs gehören gesellschaftlich relevante Themen auf die Tagesordnung. Wir sprechen uns klar gegen alle menschenverachtenden Ideologien aus und werden uns immer wieder für Minderheiten stark machen.“, ergänzt Sabine Giese, Sprecherin der HTWK Leipzig.
Daher fordern wir die vollständige Aufklärung der Morde in der Wohneinrichtung „Oberlinhaus“/ "Thusnelda-von-Saldern-Hauses" in Potsdam und eine gesellschaftliche und mediale Auseinandersetzung mit ableistischen Strukturen, die Behinderung als defizitär bestimmen und die Selbstbestimmung behinderter Menschen beschränken.
Betroffen und bestürzt,
Student*innenRat der Universität Leipzig
StudierendenRat der HTWK Leipzig